„… er war ein stattlicher Herr… unter den Edlen des Volkes der Edelsten Einer…“
Hans Freiherr von Seckendorff-Aberdar auf Broock – zum 140. Todestag

von | 24. November 2023 | Blog, Historie

Hans Carl Franz Alexander von Seckendorff hoch zu Ross, im Hintergrund Schloss Broock und Reithalle. Gemälde von Theodor Schlöpke, 1851. (Privatbesitz)

Die Ära der freiherrlichen Familie derer von Seckendorff auf Broock begann 1840 und endete 105 Jahre später, als die Familie im Zuge der sog. „Demokratischen Bodenreform“ entschädigungslos enteignet wurde. Doch wie kam dieses ursprünglich fränkische Adelsgeschlecht ausgerechnet in den hohen Norden, nach Pommern?

Der Begründer des pommerschen Familienzweigs war Hans Carl Franz Alexander Reichsfreiherr von Seckendorff – tatsächlich ein gebürtiger Uckermärker. Er erblickte am 23.03.1809 in Klepelshagen, einem Vorwerk des Ritterguts Neuensund, inmitten der Brohmer Berge das Licht der Welt. Sein Vater Christian Carl Friedrich Eberhard von Seckendorff entstammte dem Hause Erkenbrechtshausen (Württemberg) und trat in den Dienst der Preußischen Armee wo er zum „Königl. Preuß. Major“ avancierte. Er vermählte sich mit Auguste Friederike Eva Charlotte von Arnim aus dem Hause Neuensund, die das Vorwerk Klepelshagen möglicherweise als Brautschatz erhielt. Die beiden folgenden Kinder kamen jedoch in Königsberg/Neumark zur Welt (heute in Polen), wo Christian von Seckendorff mittlerweile als Kammerreferendar tätig und somit in den Königl. Preuß. Zivildienst gewechselt war. 

Der älteste Sohn Hans besuchte das Gymnasium in Friedland (Mecklenburg) und studierte nach bestandenem Abitur an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (heute Humboldt-Universität) Jura. Anschließend arbeitete er als Referendar im „Königlichen Ober-Landesgericht“ zu Frankfurt an der Oder. Im Alter von 28 Jahren verlobte er sich 1836 mit seiner Cousine Emilie Auguste Luise von Gentzkow aus dem Hause Broock [siehe Blogbeitrag] und erwarb die bei Anklam gelegenen Güter Rubkow und Buggow, um künftig als Gutsherr und Landwirt den Lebensunterhalt zu bestreiten. Emilie und ihr Bruder Carl Ernst Rudolf von Gentzkow hatten 1835 den Vater und im Januar 1837 die Mutter verloren – Carl war der Erbherr auf Broock. 

Allianzwappen der Familien Seckendorff und Gentzkow – einst Bestandteil der Patronatsloge in der Kirche Hohenbüssow (Evang. Kirchengemeinde Hohenmocker)

Die Eheschließung fand schließlich am 26.10.1837 in der Kirche zu Hohenbüssow und die Hochzeitsfeierlichkeiten auf Schloss Broock statt. Allen Aufzeichnungen nach zu urteilen handelte es sich nicht um eine arrangierte Verbindung, sondern um eine wirkliche Liebesheirat. Die Mütter der beiden Ehepartner waren Schwestern, geborene von Arnims aus dem Hause Neuensund. Eine dritte Schwester war mit Wichard Wilhelm von Heyden auf Kartlow verheiratet. 

Da die Geschwister Gentzkow sowie der neue Ehemann und Schwager ein herzliches Verhältnis zueinander hatten, wollte man die räumliche Distanz verringern und dichter beieinander leben. Seckendorff kaufte deshalb 1839 die an Broock grenzenden Rittergüter Tentzerow mit Hohenmocker und Sternfeld für 190.000 Taler und stieß die Güter Rubkow und Buggow wieder ab. 

Das Gutshaus in Tentzerow, Postkarte von ca. 1910 (Neues Gutsarchiv Schloss Broock)

Dann geschah das Unerwartete: Am 29.02.1840 starb Carl Ernst Rudolf von Gentzkow mit gerade einmal 23 Jahren an Typhus und Emilie wurde zur Alleinerbin des riesigen Broocker Güterkomplexes, dessen Ausdehnung sich nun, zusammen mit den Besitzungen ihres Gatten, auf ca. 2.800 ha erweiterte. Mit Antritt des Erbes übernahm Seckendorff die „Direction der Bewirthschaftung“ und modernisierte den Betrieb. Er vergrößerte das von seinem Schwiegervater 30 Jahre zuvor gegründete Gestüt, durch den Ankauf von englischen Vollblutpferden und richtete einen Rennstall ein, der allerdings 1849 wieder aufgegeben wurde. Zusammen mit Axel von Maltzahn-Gültz etablierte Seckendorff die jährlich stattfindende „Broocker Parforce-Jagd“, die bis ins 20. Jahrhundert hinein, das herausragende gesellschaftliche Ereignis der ganzen Region war. 

Broocker Jagdreiter mit der berühmten Beagle-Meute. Ausschnitt aus „Die Broocker Parforce-Jagd“, Lithographie von H. Schnaebeli, 1868 (Neues Gutsarchiv Schloss Broock)

Der gefragte Gartenkünstler Peter Joseph Lenné erhielt den Auftrag den Broocker Park in einen englischen Landschaftsgarten umzugestalten und lieferte dazu seinen flächenmäßig größten Entwurf für Vorpommern. Zeitgleich verpflichtete man Friedrich August Stüler, den „Baumeister des Königs von Preußen“, der das barocke Schloss von 1841-43 dem Zeitgeschmack entsprechend modernisierte und umbaute. Noch vor der endgültigen Fertigstellung übersiedelte man 1842 von Tentzerow nach Broock. Gutssekretär Witting schreibt dazu in seinen Aufzeichnungen:           

„Das Haus Broock repräsentirte somit den schönsten und hervorragendsten Wohnsitz einer hochadlichen Familie und war lange Jahre gewissermaßen der Glanz- und Sammelpunkt der übrigen hochachtbaren Aristocratie des Demminer Kreises und zugleich auch der darangrenzenden Kreise.“  

Witting, Friedrich (Gutssekretär): Geschichte der Broocker Güter. Handschriftliches Manuskript, Broock, ab März 1859 (Privatbesitz)

Das Gestüt entwickelte sich prächtig und erlangte einen hervorragenden Ruf. Modern und innovativ geführt, florierte auch der Gutsbetrieb, mit seinen zahlreichen Standbeinen. Das junge Paar war glücklich und stand überall in hohem Ansehen. Seckendorff wurde 1851 im Departement Anklam zum „Landschafts-Rath“ und 1868 zum „Königlichen Landschafts-Director“ gewählt.

Hans Freiherr von Seckendorff, ca. 1860 (Neues Gutsarchiv Schloss Broock)
Emilie Freifrau von Seckendorff, geb. von Gentzkow, ca. 1860 (Neues Gutsarchiv Schloss Broock)

Ein Wermutstropfen trübte jedoch das Glück: es wollte sich kein Nachwuchs einstellen. Ärzte wurden konsultiert, der jungen Frau Kuraufenthalte in Bad Ems verordnet, aber nichts half – das Paar blieb kinderlos, bis man sich 1861 entschloss einen Erben zu adoptieren. Die Wahl fiel auf einen damals 15-jährigen Neffen aus Nürnberg, nämlich Adolph Georg Alexander Carl von Seckendorff. Er war der dritte Sohn des Ober-Postamts-Officials Carl Freiherr von Seckendorff, Senioratsherr des im Königreich Württemberg gelegenen Stammguts Erkenbrechtshausen. Hans von Seckendorff hatte 1860 das hochverschuldete Gut von seinem Vetter erworben, um es der Familie als „wirklich einträgliches Fideikommiss wieder herzustellen“. Er und seine Erben sollten im Lauf der folgenden Jahrzehnte noch sehr viel Mühe und Geld in dieses kaum wirtschaftlich zu betreibende Gut stecken. 

Neffe Adolph jedenfalls, hätte vermutlich eine Laufbahn als Beamter oder beim Militär einschlagen und sich möglichst reich verheiraten müssen – nun war er plötzlich der Erbe eines der größten Güter in Vorpommern. Der junge Adoptivsohn wurde verwöhnt, erhielt eine hervorragende Ausbildung und genoss die Liebe seiner Pflegeeltern. Später sorgte er tatsächlich für den Fortbestand der „pommerschen Seckendorffs“ – seine Frau gebar ihm neun Kinder, darunter den ersehnten „Stammhalter“, der zu Ehren des Adoptivvaters den Namen Hans erhielt.

Wie schon sein Engagement bzgl. Erkenbrechtshausen zeigt, lagen Seckendorff die Geschicke seiner weit verzweigten Familie sehr am Herzen. Er lud am 28.07.1869 die ganze Verwandtschaft zu einer Familien-Konferenz nach Bamberg ein, um – schließlich erfolgreich – einen regelmäßig wiederkehrenden Familientag zu gründen, der an wechselnden Orten stattfand und tatsächlich bis heute besteht. In Folge dessen gaben sich Seckendorffs aus allen Teilen Deutschlands in Broock die Klinke in die Hand, um in Pommern ihre Sommerfrische zu verbringen – manche blieben über Monate. Im Juni 1879 errichtete und beurkundete Hans von Seckendorff vor dem Demminer Kreisgericht sogar eine „von Seckendorffsche Familienstiftung“. 

Aufgrund einer schweren Diabetes-Erkrankung verschlechterte sich der gesundheitliche Zustand Seckendorffs zunehmend. Zur Mitte des Jahres 1879 zog er sich von seinen offiziellen Ämtern zurück und es folgte ein langes Leiden, von dem er schließlich am 24. November 1883 erlöst wurde. Seine geliebte Emilie hat ihn persönlich und aufopferungsvoll bis ans Ende gepflegt.  

Hans Freiherr von Seckendorff, ca. 1870 (Neues Gutsarchiv Schloss Broock)
Gedruckte Traueranzeige (Neues Gutsarchiv Schloss Broock)

Am 28. November, einem Mittwoch, fand nachmittags um 15.00 Uhr die Trauerfeier in der Patronatskirche Hohenbüssow statt, wo Seckendorff in einer gemauerten Gruft auf dem Kirchhof beigesetzt wurde. Die kleine Kirche platzte aus allen Nähten, so dass noch eine große Menge an Menschen vor der Kirche der Aussegnung und der langen und emotionalen Rede von Pastor Wendlandt folgten. Diese Rede liegt uns in gedruckter Form vor. Sie enthält weniger biographische Daten, vielmehr zeichnet Wendlandt ein eindrückliches Bild der Persönlichkeit des Verstorbenen. Selbst wenn man berücksichtigt, dass ein Pastor seiner Patronatsherrschaft eine gewisse Huldigung entgegen gebracht haben wird, ist es doch auffällig, wie häufig er auf das Thema Gläubigkeit und Liebe zu sprechen kommt – es zieht sich wie ein roter Faden durch die Rede, die hier in Auszügen zitiert werden soll: 

„Es hat dem Herrn gefallen, den Verstorbenen mit schönen Gaben des Leibes und Geistes auszurüsten, er war ein stattlicher Herr von seiner Geistes- und Herzensbildung, unter den Edlen des Volkes der Edelsten Einer, und verbunden in innigster, ungetrübter Liebe mit der treuen Gattin über 46 Jahre lang, genoß er ein häusliches Glück, welches wie ein lieblicher Sonnenschein seine freundlichen, erquickenden Strahlen in einen weiten, weiten Freundeskreis fallen ließ. […]

… hier seien aber in Kürze nur zwei Züge seines Glaubenslebens erwähnt. Zuerst und vor allen anderen seine Liebe, eine wahre, herzliche, warme Liebe, seine treue Herzensgüte, sein freundliches Wohlwollen gegen Jedermann, auch gegen Niedere, Untergebene nicht weniger, als gegen Hohe und Gleichgestellte; diese Liebe hatte sein ganzes Wesen durchdrungen und sein ganzes Leben verklärt. […] Und Liebe erzeugt Liebe, und wer Liebe säet, der erntet auch Liebe; darum hat der Verstorbene auch so viele und große Liebe, so hohe Achtung, so innige Verehrung überall und in allen Kreisen weit und breit genossen, und es ist kein gering zu achtendes Zeichen, daß seine Leute [Anm.: Dienstleute, Gutsarbeiter und ihre Familien] allgemein ihn „unsern Vater Baron“ genannt und noch nennen. – Über seine vielen, vielen Werke der Liebe decken wir einen Schleier, denn sie sind alle der Art, daß die linke Hand nicht gewußt, was die rechte gethan. Aber Eins sei doch dabei bemerkt. Daß des Verstorbenen große Liebe keine bloße Naturgabe, sondern eine Gnadengabe des Herrn gewesen, beweiset der Umstand, daß sie auch durch den Undank, der nicht selten erfahren, nicht erkältet, vermindert oder ermüdet worden.   

Als der andere offenbar gewordene Zug des Glaubenslebens ist die Geduld des Heimgegangenen in seinem Leiden zu bezeichnen. Ja, er hat seinen Glauben in der Anfechtung bewährt. Die ihn in seinem letzten schweren Leiden gesehen, die wissen wie geduldig er’s getragen. Der früher so rüstige Mann, der durch kein Wetter sich von seiner Berufsthätigkeit abhalten ließ, er war Monate lang an seinen Krankenstuhl gefesselt und bei dem Gefühle zunehmender Schwäche und Mattigkeit noch von einem schmerzlichen Fußleiden geplagt, welches ihm selbst die Bewegung im Zimmer so sehr erschwerte, und des Augenlichts fast beraubt, konnte er nicht einmal durch Lectüre seinen lebhaften Geist beschäftigen. Und bei all diesem Leiden, welche Geduld und Ergebung hat er stets bewiesen!“ 

Pastor Wendtlandt: Rede über 1. Petri 1, 24. 25, am Sarge des Herrn Freiherrn von Seckendorff-Broock, 28.11.1883

Der Todestag Hans von Seckendorffs jährt sich heute zum 140. Mal. An sein Leben und Wirken – an die große Bedeutung, die er für Broock und seine Entwicklung hatte – soll mit diesem Beitrag erinnert werden.

Titelblatt der gedruckten Trauerrede (Neues Gutsarchiv Schloss Broock)
Nachruf des Seckendorffschen Familien-Vereins (Neues Gutsarchiv Schloss Broock)
Mai 2024
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